Wie gesichert ist ein genetischer Ursprung des PCO-Syndroms?


    Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) – vielfach mit dem funktionellen Hyperandrogenismus gleichgesetzt – hat nach gängiger Lehrmeinung einen genetischen und hereditären Hintergrund. Andererseits gilt die Ätiologie dieser häufigsten Endokrinopathie bei Frauen im reproduktiven Lebensabschnitt als weitgehend ungeklärt. Für eine genetische Komponente des PCO-Syndroms sprechen insbesondere die Befunde zahlreicher Familienstudien. Weniger aufschlussreich – da oft widersprüchlich bzw. nicht reproduzierbar – sind hingegen die Ergebnisse klassischer molekulargenetischer Untersuchungen wie Kopplungsanalysen und Fallkontrollstudien. Zwar wurden zahlreiche Kandidatengene mit der Entwicklung eines PCO-Syndroms in Verbindung gebracht, doch bislang konnte keines dieser Kandidatengene mit Sicherheit als ätiologischer Faktor weder ausgeschlossen, noch bestätigt werden. In jüngster Zeit wird versucht, mit Hilfe modernster Techniken (Genomics, Proteomics) neue Erkenntnisse über den genetischen Hintergrund des PCO-Syndroms bzw. des funktionellen Hyperandrogenismus zu gewinnen [1, 2].

    Die typische polyzystische (richtiger polyfollikuläre) Morphologie der Ovarien findet sich bei ca. 20 % aller Frauen. Überwiegend sind die betroffenen Frauen aber nicht hirsut und haben regelmäßige Menses sowie normale Serum-Testosteron- und Serum-Gonadotropinspiegel.

    An der Ausbildung eines PCO-Syndroms sind ein klinischer und/oder biochemischer Hyperandrogenismus sowie Oligo- bzw. Anovulation beteiligt. Demzufolge läge ein PCO-Syndrom vor, wenn Hyperandrogenämie und Oligo-/Anovulation bei einer Frau mit polyzystischen Ovarien auftreten [2]. Bislang wurde in wissenschaftlichen Arbeiten zum PCO-Syndrom jedoch überwiegend die Kriterien der National Institutes of Child Health and Human Development (NICHD) zugrunde gelegt, wonach zwar eine ovulatorische Dysfunktion und der klinische Befund eines Hyperandrogenismus oder einer Hyperandrogenämie obligatorisch sind, nicht aber der Nachweis polyzystischer Ovarien.

    Die allgemein beobachtete Zunahme des PCO-Syndroms dürfte weniger auf vermehrt vorkommende polyzystische Ovarien zurückzuführen sein, als vielmehr auf den stetig wachsenden Anteil adipöser Frauen. Denn liegen bei adipösen Frauen polyzystische Ovarien vor, kommt es mit höherer Wahrscheinlichkeit zu mestruellen Unregelmäßigkeiten und Hirsutismus. Das trifft insbesondere bereits auf Adoleszentinnen zu [2].


    Das familiär gehäufte Auftreten des PCO-Syndroms kann als starkes Indiz für den genetischen Ursprung der Krankheit gewertet werden. Andererseits könnten aber auch bestimmte, nicht genetisch bedingte Einflüsse aus der Umwelt bzw. durch den Lebensstil die Entwicklung eines PCO-Syndroms begünstigen – in einigen Familien eher als in anderen.

    Zahlreiche Befunde aus Familien- bzw. Zwillingsstudien zur Vererblichkeit des PCO-Syndroms lassen aber kaum Zweifel aufkommen, dass dem sehr heterogenen Krankheitsbild neben einer umweltbedingten auch eine hereditäre Komponente zugrunde liegt.


    In Familien, in denen das PCO-Syndrom vorkommt, tritt gehäuft Insulinresistenz auf. Legro et al. [3] untersuchten Schwestern von Frauen mit einem PCO-Syndrom auf Merkmale von Insulinresistenz: Sowohl Schwestern, bei denen ebenfalls ein PCO-Syndrom nachweisbar war, als auch Schwestern, die zwar hyperandrogenämisch waren, aber regelmäßig menstruierten, hatten einen erhöhten Insulinspiegel und ein erniedrigtes Glukose/Insulinverhältnis. Hieraus wurde geschlossen, dass für Insulinresistenz eine genetische Disposition besteht. Ferner ergaben die Analysen, dass Merkmale von Insulinresistenz eher im Zusammenhang mit Hyperandrogenämie als mit menstruellen Unregelmäßigkeiten stehen, und daher für Insulinresistenz und Hyperandrogenämie gleiche Pathomechanismen wirksam sind.

    Raskauskiene et al. [4] untersuchten ebenfalls Schwestern von PCOS-Patientinnen [Diagnose: Hyperandrogenämie, Anovulation] auf das Vorliegen einer verringerten Insulinsensitivität. In diesem Fall wurden nur Schwestern berücksichtigt, bei denen im vaginalen Ultraschall polyzystische Ovarien nachweisbar waren. Dieses Merkmal allein prädisponierte die Schwestern der PCOS-Patientinnen allerdings nicht für eine verringerte Insulinsensitivität.


    Frauen mit einem PCO-Syn-drom haben langfristig erhöhte Risiken für einen Typ-2-Diabetes, einen Hypertonus, Hypercholesterinämie, kardiovaskuläre Krankheiten, einen Gestationsdiabetes, einen Schwangerschaftshochdruck sowie möglicherweise auch für gynäkologische Karzinome und Mammakarzinome.

    Verwandte ersten Grades von Patientinnen mit einem PCO-Syndrom haben wie diese ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten – auch wenn bei ihnen kein PCO-Syndrom ausgeprägt ist, bzw. wenn es sich um Männer handelt [5]: Bei den Eltern von PCOS-Patientinnen (Mütter 40 %, Väter 52 %) war die Prävalenz von Glukoseintoleranz signifikant höher als bei den Eltern von Kontrollprobandinnen (zusammen 15 %).


    Angesichts einer genetischen Komponente des PCO-Syndroms stellt sich die Frage, ob das Syndrom in Form einer unterschiedlich ausgeprägten Symptomatik nicht auch bei Männern vorkommt [6]. Ein klar definierter männlicher Phänotyp, der dem des PCO-Syndroms äquivalent ist, könnte dazu beitragen, Gene zu identifizieren, die an der Entstehung des PCO-Syndroms beteiligt sind.

    In einer Untersuchung mit 30 Männern, bei denen ein erheblicher Haarausfall bereits vor dem 30. Lebensjahr eingesetzt hatte, wiesen die Probanden mehrheitlich hormonelle Veränderungen entsprechend denen von PCOS-Patientinnen auf. Verbunden damit war eine entsprechend hohe Insulinresistenz, so dass frühzeitiger Haarausfall als Risikofaktor für die Entwicklung einer beeinträchtigten Glukosetoleranz oder einen Diabetes mellitus propagiert wird [7].


    Zahlreiche Kandidatengene wurden mit dem Auftreten des PCO-Syndroms in Verbindung gebracht [8]. Hierzu zählen insbesondere Gene, die bei der Androgensynthese und -wirkung sowie bei der Insulinsekretion und -wirkung eine Rolle spielen.

    Der erste Schritt in der Steroidhormon-Biosynthese ist die Spaltung von Cholesterin, die durch das Enzym Zytochrom-P450ssc (ssc = side chain cleavage) katalysiert wird. Sein Gen (CYP11A) wurde zunächst hoch favorisiert, mit dem PCO-Syndrom in Verbindung zu stehen. Doch als die Daten eines größeren Kollektivs zur Verfügung standen, musste die ursprüngliche Annahme deutlich relativiert werden [2, 9].

    Auch Varianten des Gens HSD11B1, das für das Enzym 11-Hydroxyste­roid-Dehydrogenase Typ 1 (11-HSD1) kodiert, gehören zu den „heißen“ Kandidaten­genen. Sie begünstigen eine erhöhte Kortisol-Clearance im Fettgewebe, so dass es zu einem kompensatorischen adrenalen Hyperandro-genismus in schlanken PCOS-Patientinnen kommt [10].


  • Patientinnen mit einem PCO-Syndrom sind zu einem Großteil adipös. Zumeist weisen solche Frauen eine exzessive Anhäufung viszeralen Fettgewebes auf, das bei der Entwicklung eines Hyperandrogenismus offenbar eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Es wird sogar die Möglichkeit diskutiert, dass durch eine anfängliche Hyperandrogenämie bei Frauen mit einem PCO-Syndrom ein Circulus vitiosus in Gang gesetzt wird: Der Androgenüberschuss begünstigt die Speicherung abdominalen Fettes, das dann zur Ausbildung von Insulinresistenz führt, und die resultierende Hyperinsulinämie wiederum die Androgenproduktion anregt. Diesbezüglich wurde mittels Microarray-Technologie das Gen-Expressionsmuster im omentalen Fettgewebe von extrem adipösen PCOS-Patientinnen mit dem gleich „gewichtiger“ Frauen ohne PCO-Syndrom verglichen [11]:

    Insgesamt 63 Gene, die in zahlreiche Stoffwechselwege involviert sind, wurden beim PCO-Syndrom im viszeralen Fettgewebe als dysreguliert identifiziert. Hieraus schließen die Autoren, dass viszerale Adipositas in die Pathogenese des PCO-Syndroms auf vielfältigere Weise eingebunden ist als bislang angenommen wurde. Die Analysen wiesen eine anomale Expression bei Genen nach, die im Rahmen des Insulin-Signalweges, des Wnt-Signalweges (unter anderem Follikulogenese und Ovulation), von oxidativem Stress, von Entzündungsreaktionen, von Immunfunktionen und des Lipid-Metabolismus eine Rolle spielen.

Literatur:
[1] Escobar-Morreale HF, Luque-Ramírez M, San Milan JL. 2005. The molecular-genetic basis of functional hyperandrogenism and the polycystic ovary syndrome. Endocr Rev 26:251-282.
[2] Franks S, McCarthy MI, Hardy K. 2006. Development of polycystic ovary syndrome: involvement of genetic and environmental factors. Int J Androl 29:278-285.
[3] Legro RS, Bentley-Lewis R, Driscoll D, et al. 2002. Insulin resistance in the sisters of women with polycystic ovary syndrome: association with hyperandrogenemia rather than menstrual irregularity. J Clin Endocrinol Metab 87:2128-2133.
[4] Raskauskiene D, Jones PW, Govind A, et al. 2005. Do polycystic ovaries on ultrasound scan indicate decreased insulin sensitivity in sisters of women with polycystic ovary syndrome. J Clin Endocrinol Metab 90:2063-2067.
[5] Yilmaz M, Bukan N, Ersoy R, et al. 2005. Glucose intolerance, insulin resistance and cardiovascular risk factors in first degree relatives of women with polycystic ovary syndrome. Hum Reprod 20:2414-2420.
[6] Duskova M, Starka L. 2006. The existence of a male equivalent of the polycystic ovary syndrome – the present state of the issue. Prague Med Rep 107:17-25.
[7] Starka L, Duskova M, Cermakova I, et al. 2005. Premature androgenetic alopecia and insulin resistance. Male equivalent of polycystic ovary syndrome? Endocr Regul 39:127-131.
[8] Franks S, Gharani N, McCarthy MI. 2001. Candidate genes in polycystic ovary syndrome. Hum Reprod Update 7:405-410.
[9] Gaasenbeek M, Powell BI, Sovio U, et al. 2004. Large-scale analysis of the relationship between CYP11A promotor variation, polycystic ovarian syndrome, and serum testosterone. J Clin Endocrinol Metab 89:2408-2413.
[10] Gambineri A, Vicennati V, Genghini S, et al. 2006. Genetic variation in 11beta-hydroxysteroid dehydrogenase type 1 predicts adrenal hyperandrogenism among lean women with polycystic ovary syndrome. J Clin Endocrinol Metab 91:2295-2302.
[11] Cortón M, Botella-Carretero JI, Benguría A, et al. 2007. Differential gene expression profile in omental adipose tissue in women with polycystic ovary syndrome. J Clin Endocrinol Metab 92:328-337.

Februar 2007 Drucken jfs